Freitag, 17. Mai 2024

Bis dass der Tod euch scheidet…

Inna Gobeli, 37 Jahre, wohnt in Wyssachen, hat zwei Kinder, Dan 13 Jahre und Hanna 11 Jahre
Seit fünf Jahren wohnen Inna Gobeli und ihre zwei Kinder im Oberaargau. Sie wollte damals einen Schnitt machen, ein neues Leben aufbauen. Das alte war jäh zerstört worden, als ihr Mann Erich mit dem Gleitschirm verunglückte.

«Es war ein grosser Schritt, in die Schweiz zu ziehen», erzählt Inna Gobeli. 2005 hatte sie auf einer Israel-Reise den jungen Landwirt Erich kennengelernt. Er war ein Jesus-Nachfolger, wie Inna. Sie wuchs mit fünf Geschwistern in Norddeutschland auf, er als jüngster Sohn mit einem Bruder und zwei Schwestern im Simmental. Die beiden planten, dass Erich den elterlichen Hof übernehmen würde. Die medizinische Praxisassistentin wollte ihn dabei unterstützen.

«Es war ein grosser Schritt, in die Schweiz zu ziehen»

Herausgefordert – auch ohne Hof

2008 heirateten Erich und Inna. Vor der Heirat hatte er sich dazu entschieden, den Hof doch nicht zu übernehmen. Dass sein Bruder plötzlich Interesse daran zeigte, war eine wunderbare Lösung. Erich hatte seit Jahren im Sommer auf dem Bau und als Betriebshelfer gearbeitet, im Winter als Pistenwart. Inna fand eine Stelle in einem Altersheim. Als sie schwanger wurde, entschied sich Erich, eine Ausbildung zum Netzelektriker zu absolvieren. Sonst hätte er keine Familie ernähren können. «Ich musste neun Wochen vor der Geburt liegen, dennoch kam Dan 2009 einen Monat zu früh zur Welt», erzählt Inna. «Genau in der ersten Woche von Erichs Lehrantritt…» Die Arbeit bei der BKW gefiel dem jungen Vater sehr. Er konnte weiterhin viel im Freien arbeiten und in Bewegung sein. Auch beim zweiten Kind war die Schwangerschaft herausfordernd – wieder Bettruhe, ein zu früh geborenes Töchterchen, das Sauerstoff und Sondenernährung brauchte und einen kleinen Herzfehler aufwies. «Gott sei Dank sind beide Kinder heute gesund und munter», sagt Inna.

Nochmals kurz abheben

Erich war begeisterter Gleitschirmpilot. Als er am 15. Juli 2013 Inna darum bat, ihn nach der Arbeit noch auf den Berg zu fahren, damit er die Freiheit am Himmel geniessen konnte, sagte sie zu. Sie wollte mit den damals 2- und 3-jährigen Kindern das Abendessen im Garten vorbereiten, er sollte auf der Wiese beim Haus landen. Doch Erich kam nicht angeflogen. «Im Monat zuvor hatte aussergewöhnliches Wetter geherrscht», berichtet Inna. «Es hat immer wieder gewittert, aber kaum geregnet.» An diesem Tag zog plötzlich ein kleiner Tornado über die Region. Ein Ehepaar beobachtete aus dem Auto, wie ein Gleitschirmpilot durch die starke Windböe spiralförmig herumgeschleudert wurde. Der Schirm hing in der Mitte, im luftleeren Raum, und konnte seinen Sturz nicht bremsen. Sofort fuhren die beiden zur Unfallstelle und alarmierten die Rettungskräfte.

«Das kann nicht sein!»

Inna und die Kinder sahen den Rega-Helikopter fliegen. Ein ungutes Gefühl stieg in der jungen Mutter auf. Sie rief die Polizei an und meldete, dass sie ihren Mann vermisse. Er sei mit dem Gleitschirm unterwegs. «Bleiben Sie, wo Sie sind», wies der Beamte sie an. Etwas später stand ein Polizist vor der Tür und musste ihr mitteilen, dass Erich tödlich verunfallt sei. «Das kann nicht sein!», war Innas Reaktion. Sie konnte nicht fassen, was der Polizist ihr zu vermitteln suchte. Die Kinder wurden betreut, die Nachbarin begleitete sie zum Unfallort. Und hier bestätigte sich der Alptraum: Erich war tot.

Von allen Seiten umsorgt

«Ich stand die ersten Tage völlig neben mir», gesteht Inna. Mit 27 Jahren war sie Witwe, ihre Kinder Halbwaisen. Die Nachbarin übernachtete bei ihr. Ihre Eltern reisten die 825 km aus Deutschland an, Freundinnen und die Eltern und Geschwister von Erich kamen, um ihr beizustehen. «Sie stellten für einen Monat einen Plan auf, und dann war immer jemand bei uns, rund um die Uhr,» erzählt Inna bewegt. «Am Anfang organisierten sie alles für uns: Kochen, Putzen, Waschen, Kinder betreuen – alles wurde mir abgenommen. Ich hatte ein starkes Beziehungsnetz das mich auffing.»

«Sie stellten für einen Monat einen Plan auf, und dann war immer jemand bei uns, rund um die Uhr.»

Gefühlscocktail

Schock und Trauer lähmten die junge Mutter. Sie hatte monatelang den Eindruck, ihr Leben sei vorbei. «Wir haben uns Liebe und Treue versprochen, bis dass der Tod
uns scheidet», hält sie fest. «Aber dass es so schnell gehen würde…» Sie haderte mit Gott. Wie konnte er das zulassen? «Ich schrie ihn an und warf ihm meine ganze
Wut und Verzweiflung vor die Füsse», gesteht Inna. Sie spürte, dass sie zuerst klagen musste, bevor Heilung beginnen konnte. Irgendwann fing sie an, Erichs Sachen aus der Wohnung zu entfernen. Sie las hilfreiche Bücher, hörte Musik und nahm auch Seelsorge in Anspruch. Ihre Entscheidung, für all das Gute dankbar zu sein, das es in ihrem Leben trotzdem noch gab, und aus der gegebenen Situation das Beste zu machen, beeinflusste ihren Alltag sehr. Langsam heilte Gott ihr Herz.

«Gott schafft es, aus allen Situationen etwas Gutes zu machen.»

Hoher Preis

«Seither lebe ich viel bewusster», stellt sie klar, «und ich habe im Laufe der Jahre Ehepaare ermutigt, ihre Ehen bewusster zu gestalten. Man weiss nie, wie lange man dazu Gelegenheit hat.» In der Bibel wird Gott als Versorger von Witwen und Waisen beschrieben. «Das habe ich wörtlich genommen», erzählt Inna. Wenn sie nicht weiterwusste, vertraute sie ihre Kinder ganz bewusst dem Vater im Himmel an. Und erlebte, dass sich die Situation beruhigte. «Gott ist da,» das weiss sie. Dennoch: Den Trauerprozess zu durchlaufen, konnte ihr niemand abnehmen. «Ich bin daran gereift, aber der Preis war hoch», hält sie fest.

Nicht wunschlos, aber glücklich

Seit 2017 wohnen die drei in einem Stöckli in Wyssachen. Sie haben in der Heilsarmee Huttwil Anschluss und im Laufe der Jahre viele gute Freunde gefunden. Auch für die gute Nachbarschaft sind sie sehr dankbar. «Wir sind nicht wunschlos, aber glücklich», hält Inna fest. Sehr dankbar ist sie auch für die Teilzeitstelle in der Heilsarmee. Die Kinder vermissen einen Vater in ihrem Leben, aber sie durften in ihrem Trauerprozess auch heilen. Die männliche Lücke in ihrem Leben können sie zum Teil mit ihren Göttis oder den engagierten Mitarbeitern der Royal Rangers, der Jungschi der Heilarmee, kompensieren. «Gott schafft es, aus allen Situationen etwas Gutes zu machen», beendet Inna das Gespräch zuversichtlich.

Zur Person

Einer meiner Lieblingsplätze in Wyssachen:
Mein Garten mit dem Rasen hinter dem Haus

Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Mit den Kindern Gesellschaftsspiele spielen

Meine Lieblingsmusik:
Adonia-Lieder oder Lieder von Thomas Rups Unger

Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Schwierig zu sagen, da ich nicht so viel am Handy bin… Google Maps, ERF Plus oder die Migros-App

Autor: Mirjam Fisch
Quelle: HOPE-Regiozeitungen